Stadt Neu Isenburg

Namen

Nathan, Ellen

VornameEllen
NachnameNathan
Geburtsdatum10.10.1937
Geburtsort/WohnortFrankfurt am Main/Kassel
Aufenthalt im Heim „Isenburg“25.10.1937 - 14.12.1937
Abgemeldet nachFrankfurt am Main
Beruf-
Deportation/Flucht

Deportiert am 09.12.1941 von Kassel in das Ghetto Riga

Sterbedatum und -ort22.04.1944, Ghetto Riga

Ellen Nathan war die Tochter der in diesem Gedenkbuch ebenfalls verzeichneten Ruth Nathan. Sie wurde am 25. Oktober in Frankfurt – vermutlich im Israelitischen Krankenhaus in der Gagernstraße 36 – geboren. Ihre Mutter war unverheiratet und hatte während der Schwangerschaft  Zuflucht im Neu-Isenburger Heim des Jüdischen Frauenbundes gesucht. Dorthin kehrten Mutter und Tochter kurz nach Ruths Geburt für einige Wochen zurück, bevor sie nach Frankfurt am Main zogen. Vermutlich lebten Ruth und Ellen Bierhoff in Frankfurt nicht zusammen, denn Ellen war bei der Volkszählung 1939 im Kinderhaus der "Weiblichen Fürsorge" in Frankfurt am Main gemeldet (Volker Mahnkopp: Dokumentation zu verfolgten Personen im Frankfurter Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge e.V., Hans-Thoma-Str. 24, unveröffentlichtes Manuskript).

Ruth Nathan heiratete zu einem Zeitpunkt, der nicht überliefert ist, den aus Borgentreich (Kreis Höxter) stammenden Herbert Bierhoff. Ellen trug nach der Hochzeit den Nachnamen Bierhoff und lebte spätestens ab Januar 1940 im Haus Oberste Gasse 35 in Kassel bei ihren Eltern. Ob Herbert Bierhoff Ellens leiblicher Vater war oder ob er das Kind aus einer früheren Beziehung seiner Frau adoptierte, ist ungewiss. Die Familie wohnte bis 1941 in Kassel.

Am 9. Dezember 1941 wurden Herbert, Ruth und Ellen Bierhoff von Kassel aus in das Ghetto Riga deportiert. Die Familie lebte dort mehrere Jahre. Was danach mit ihr geschah, ist nicht durch historische Quellen belegt. Die folgenden Angaben stützen sich auf ein Theaterstück des aus Kassel stammenden Sigi Ziering. Der damals 13-Jährige wurde zusammen mit Herbert, Ruth und Ellen Bierhoff nach Riga verschleppt. Er überlebte die Shoah. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte er nach England und später in die USA aus. Dort studierte er Physik, promovierte, war in der Raumfahrtforschung tätig und gründete schließlich ein heute weltweit tätiges Unternehmen für medizinische Diagnostik (http://www.enotes.com/company-histories/diagnostic-products-corporation). Jahrzehntelang trug er die Erinnerung an das Schicksal der Familie Bierhoff mit sich, bevor er als 70-Jähriger schließlich die traumatische Erfahrung aus seiner Jugendzeit in dem Theaterstück „The judgment of Herbert Bierhoff“ verarbeitete. Das Stück ist eine fiktionale Darstellung, dürfte die Ereignisse im Kern jedoch authentisch wiedergeben (Murder Most Merciful. Essays on the Ethetical Conundrum Occasioned by Sigi Ziering’s The Judgment of Herbert Bierhoff. Edited by Michael Berenbaum. University Press of America, 2005 [Studies in the Shoah, Volume XXVIII].

Nach Sigi Zierings Schilderung wurde Herbert Bierhoff im Ghetto Riga der jüdischen Polizei zugeteilt. In dieser Funktion konnte er seine Frau und seine Tochter lange Zeit beschützen. Als er diesen Schutz nicht mehr aufrecht erhalten konnte, vergiftete Herbert Bierhoff seine Tochter Ellen, um ihr weitere Leiden und die Deportation in ein Vernichtungslager zu ersparen. Wann dies geschehen sein könnte, ist unklar. Ziering legt Herbert Bierhoffs Verzweiflungstat in den Herbst 1943, das Online-Gedenkbuch des Bundesarchivs nennt als Todesdatum für Ellen Bierhoff den 22. April 1944. Beide Angaben könnten richtig sein: Im Zuge der Auflösung des Ghettos Riga und der Verlegung der Bewohner in das Konzentrationslager Riga-Kaiserwald wurde am 2. November 1943 tagsüber das Ghetto Riga durchkämmt. Alle Häftlinge, die nicht in Kommandos außerhalb des Ghettos arbeiteten, wurden in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Als Mitglied der jüdischen Ghettopolizei wusste Herbert Bierhoff möglicherweise vorab von dieser Aktion und ihm müsste auch klar gewesen sein, dass er Ellen vor der Verschleppung nicht bewahren konnte. Er könnte seine Tochter deshalb zu diesem Zeitpunkt getötet haben.

Das im Gedenkbuch des Bundesarchivs genannte Todesdatum von Ellen Bierhoff könnte sich auf eine Selektion von Kindern im Zentrallager Riga-Kaiserwald und den zahlreichen Außenkommandos am 28. April 1944 beziehen. Falls es Ruth und Herbert Bierhoff bis dahin gelungen war, mit Ellen zusammenzubleiben, könnte die Tötung des Mädchens durch den Vater im Zusammenhang mit dieser Mordaktion gegen die Kinder aus dem KZ Riga-Kaiserwald stehen.

Nach dem Theaterstück von Sigi Ziering griff die SS Herbert Bierhoff am Morgen nach Ellens Tod im Hof bei dem Versuch auf, mit einem Löffel ein Grab für seine Tochter zu schaufeln. Daraufhin wurde er auf Befehl des Lagerleiters erschossen.

Der Gedenkbucheintrag konnte durch die Unterstützung von Fritz Ostkämper, Jacob-Pins-Gesellschaft, Höxter vervollständigt werden.

Weitere Quellen: Stadtarchiv Neu-Isenburg; Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945 

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